Unterwegs vom 16. bis 19.03.2016
Nun sind wir schon lange wieder zurück, es waren bereits zwei weitere Male Teamkollegen vor Ort und ich sortiere immer noch meine Gedanken und meine Eindrücke.
Ich habe bisher noch nicht die Muße gefunden, einen Bericht zusammenzufassen, in dem ich beides in Einklang bringen kann, vermutlich weil es nicht gemeinsam klingen mag.
Es ist nicht eines der ersten Male, die ich in Ungarn gewesen bin.
Vieles ähnelt sich, die Reise läuft eigentlich immer ähnlich ab, mal hat man Leute neben sich, die man richtig gut kennt, mal lernt man sich auf der Tour besser kennen, mal wird viel gelacht und mal mehr geschwiegen, mal flucht man auf den Verkehr und mal freut man sich, wie gut man durchkommt und wie wohl Petrus einem gesonnen ist.
Der Ablauf in Ungarn vor Ort sieht auch jedes Mal gleich aus, ankommen, ins Tierheim fahren, herzliche Begrüßungen, den Tag dort mit Fotografieren, Neuigkeiten erfahren und Rundgängen und Besichtigungen verbringen, sprachliche Barrieren mit allen Hilfsmitteln überwinden, Boxen aufbauen und Formalitäten erledigen, was je nach Bedarf unterschiedlich lang ausfällt.
Etwas war dieses Mal bei mir jedoch anders.
Ich erinnere mich, wie es mir erging, als ich das allererste Mal in Ungarn war, damals noch in einem anderen Tierheim in einer anderen Stadt.
Eindrücke strömten auf mich ein, Bilder drängten sich in einer Flut aneinander, dass ich den erstem Tag gar nichts sortieren konnte.
Am darauf folgenden Tag brach dann die Hälfte meiner mühsam an der Oberfläche gehaltenen Fassung in sich zusammen. Ich musste ohne jeden sofort ersichtlichen Grund weinen und konnte erstmal für eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr damit aufhören.
Auch Monate danach stiegen mir immer noch Tränen in die Augen, wenn ich von dieser ersten Tour erzählte.
Heute fragen mich Menschen oft, warum ich so distanziert davon erzählen kann. Was ist anders, bin ich wirklich distanzierter geworden?
Wie war es denn jetzt im März in Ungarn?
Wir hatten schönstes Frühlingswetter, auch vor Ort war es die erste tolle Sonnenwoche nach einer schneeigen und matschigen, grauen Zeit.
Entsprechend genossen es auch die Hunde, in den Ausläufen in der wärmenden Sonne zu liegen.
Nachdem wir einen Rundgang gemacht hatten, war ich schon erstaunt, was sich in dem Jahr, seit ich das letzte Mal vor Ort gewesen war, getan hatte.
Alle Gehege waren im Sinne der Hunde geräumiger und besser gestaltet worden, einige Ecken, die bereits baufällig gewesen waren oder einfach nicht genutzt wurden, waren jetzt saniert oder zweckmäßig umfunktioniert worden.
Und vor allem gab es jetzt einen Operationsraum, in dem viele notwendige medizinische Eingriffe vorgenommen werden können, so dass nicht jedes Mal in eine große Tierklinik gefahren werden muss und den Hunden viel schneller und auch kostengünstiger geholfen werden kann.
Ich blieb gleich nach dem Entladen wieder mal am Junghundgehege hängen, einer der fröhlichsten Bereiche im ganzen Tierheim.
Hier herrscht noch Unbeschwertheit und reine Lebenslust.
Viele der Junghunde sind entweder hier geboren, da ihre trächtige Mutter auf der Straße aufgelesen wurde und es den Welpen zumindest dann von Anfang an gut ging, oder sie wurde so rechtzeitig gefunden, dass es Menschen nicht gelungen war, sie zu traumatisieren.
Aber auch hier fielen mir gleich die ins Auge, die auch schon in ihrem jungen Leben viel Schlimmes erfahren hatten, wie beispielsweise Dia und Donna.
Zwei lackschwarze Hundemädchen, die seit ihrer Ankunft auf dieser Welt nur Ablehnung und Gewalt erfahren hatten, obwohl sie dieser freundlich und liebevoll entgegengetreten sind.
Vom Besitzer misshandelt und weggeworfen hatten sie das Glück, hier im Tierheim eine Zuflucht zu finden.
Mir war gleich die schüchternere Donna ans Herz gewachsen, die es kaum schaffte, aus ihrem Erdloch herauszukommen, war sie doch deutlich schwächer und körperlich gezeichneter als ihre Schwester Dia, die die schlimmen Erlebnisse besser weggesteckt zu haben schien.
Donna schaute mit traurigen Augen ihren Hundekameraden dort im Auslauf zu, wie sie in der Sonne tobten, selber war sie jedoch zu schwach, um mitzuspielen.
Umso mehr genoss sie die Streicheleinheiten und die Aufmerksamkeit, die nun einen Moment lang nur ihr zuteil wurden.
Es ist immer wieder erstaunlich, wie sehr die Hunde uns Menschen noch zugetan sind. Gerade die Jungen bestürmen und überfallen einen regelrecht mit Zuneigung. Einmal sitzend kommt man kaum mehr auf die Füße, weil sie auf, neben, über und unter einem umherwuseln, immer auf der Jagd nach Streicheleinheiten.
Als ich Donna auf dem Arm hielt und sie ansah, konnte ich regelrecht spüren, wie ihr kleiner Körper sich an mich schmiegte und wie schwer sie atmete. Ich mache keine Versprechen mehr, aber ich nahm mir vor, speziell für sie meine Augen aufzuhalten.
Vor einiger Zeit habe ich dann erfahren, dass Donna es nicht geschafft hat. Sie ist ein paar Wochen später gestorben.
An den Gehegen und Zwingern der Älteren wird einem das Herz dann schon schwerer. Am meisten berühren mich die, die nur den Kopf heben, die, die offensichtlich mit der Hoffnung abgeschlossen haben, die nicht mehr daran glauben, dass es ein besseres Morgen für sie gibt.
Einige, weil sie einfach zu schreckliche Dinge erlebt haben und nur ihre eine Betreuerin näher an sich heranlassen. Andere, und die sind ganz klar in der Überzahl, die einfach schon zu lange hier sind, die schon zu viele haben kommen und gehen sehen, wobei sie immer und stets übersehen wurden.
Jedes Mal durften die Auffälligeren, die Jüngeren, die Schöneren in den Transporter steigen und sie blieben zurück. Und jedes Mal wurde die Hoffnung ein wenig schwächer, bis sie dann ganz gestorben war.
Genau die verfolgen mich noch lange, genau die bekomme ich nicht aus dem Kopf und für genau diese wünsche ich mir so sehr einen Menschen, der sie mit dem Herzen sieht in all ihrer Schönheit und Einzigartigkeit.
Einen ganz besonderen Tag hatte ich daher mit Rocky, einem großen Schäferhund-Collie Mischling, der nicht nur ob seiner Größe, sondern auch aufgrund seines Aussehens nicht der ist, der gleich einem Menschen ins Auge springt. Und ganz jung ist er auch nicht mehr.
Aber genau ihn wollte ich aus dem Grund für einen Spaziergang mitnehmen. Und Rocky hat diesen Tag für mich zu einem sehr schönen gemacht.
Rocky hat alle Gerüche, alle Eindrücke, die sich ihm auf unserer Tour boten, geradezu in sich aufgesogen, mich aber trotzdem zu jeder Zeit wahrgenommen und im Auge gehabt.
Wir haben den Spaziergang mit meinem Teamkollegen gemacht, der eine kleine, unbeschreiblich kecke Hündin mitgenommen hatte, um ihr auch einen Ausflug zu ermöglichen.
So waren wir ein ziemlich ungleiches Gespann, aber die beiden harmonierten sehr gut miteinander. Rocky war sehr bemüht, Szuki nicht mit seiner Größe zu bedrängen, was Szuki aber sicher auch nicht geduldet hätte, da sie ihre geringe körperliche Größe mit weitaus mehr Selbstbewusstsein wett gemacht hat.
Nach einer Stunde wieder im Tierheim angekommen, wollte ich die Boxen für den nächsten Tag der Heimreise schon einmal bestücken und fertig machen und entschied, dass Rocky ruhig noch draußen bei mir bleiben konnte.
So schaute er mir bei meinem Treiben zu und legte sich ruhig und zufrieden in die Sonne. Wir verbrachten noch den restlichen Nachmittag gemeinsam und man kann sich vorstellen, wie schwer es mir fiel, ihn dann wieder in sein Gehege zurückzubringen.
Er sitzt nun wie seine Leidensgenossen Tag für Tag und wartet, dass sich ihm mal wieder so ein Erlebnis bietet.
Ich hoffe, wenn ich bald wieder vor Ort bin, werde ich ihn nicht mehr sehen...
Szuki hat es da schlauer angestellt, sie hat die Gunst der Stunde genutzt und sich ins Herz meines Kollegen geschlichen...heute ist sie bereits in Deutschland und sie lebt mit ihm und seinem Hund zusammen - alles richtig gemacht!
Ich denke auch noch oft an Bogi, eine ca. siebenjährige Hündin, die halb verhungert aufgefunden wurde und im Tierheim ihre Welpen bekommen hat.
Sie zeigte sich als tolle Mama, genoss die Streicheleinheiten, aber dann zog es sie sofort wieder zu ihren Mäusen zurück, um zu schauen, ob es ihnen gut geht.
Was für ein Glück für Bogi, dass sie in Sicherheit ihre Jungen großziehen kann, genug zu essen hat und nicht befürchten muss, weggejagt zu werden. Noch hat sie auch noch ihre Zwerge, die sie brauchen und um die sie sich kümmern muss. Aber wenn die Kleinen alt genug sind, werden sie es vermutlich leicht haben, ein neues Zuhause zu finden. Dann bleibt Bogi, diese tolle und mutige Hündin, allein zurück und wird vermutlich auch eine von den Unsichtbaren, die sich in den immer gleichen Tierheimalltag einfügen muss.
Zwischendrin ging der ganz normale Alltag im Tierheim seinen Gang, zu dem an diesem Nachmittag die Rettung eines verunfallten Hundes gehörte.
Ein sehr kleiner Rüde war auf einer viel befahrenen Straße unter die Räder gekommen und schwer verletzt. Eva, die Tierheimleiterin wurde angerufen, da kein Besitzer ausfindig zu machen war. Eva und Rita, meine Teamkollegin, machten sich also auf den Weg zur Unfallstelle und sammelten den kleinen Kerl dort ein und brachten ihn in die Klinik.
Man konnte Rita ansehen, dass das Erlebte ihr sehr zugesetzt hatte, umso bemerkenswerter, dass unsere ungarischen Kollegen das jeden Tag durchstehen müssen.
Dort konnte ein Chip ausgelesen werden, der den Besitzer ermitteln ließ.
Nachdem dieser erfahren hatte, dass die dringend lebensnotwendige OP Kosten verursachen würde, überließ er es Eva, ob sie den Hund(somit auch die Kosten) in Obhut nehmen wolle, anderweitig solle er eingeschläfert werden.
Natürlich entschied Eva sich für das Leben des Hundes und somit hatte das Tierheim kurzfristig einen Bewohner mehr.
Der kleine Mann hat diese Nacht leider nicht überlebt und keine Aussicht auf ein besseres Leben mehr. Er hat den Namen Morzsi bekommen.
Als wenn das nicht Aufregung genug gewesen wäre, folgte ziemlich zeitnah ein Anruf, dass ein Hund in erbarmungswürdigem Zustand an einer Kette gehalten würde, was auch in Ungarn verboten ist laut Tierschutzgesetz.
So fuhren die Tierheimmitarbeiter ihren nächsten Einsatz und brachten einen total mageren und desolaten alten Rüden mit, der einfach nur dankbar und hungrig folgte, froh, sich nun endlich von der schweren Kette befreit zu sehen.
Er konnte nicht einmal von alleine aus dem Transporter steigen, er musste getragen werden und bis heute habe ich noch das Geräusch der hinterher schleifenden Kette im Ohr, die im OP des Tierheims abgeschnitten werden musste.
Heute geht es Vacak wieder besser und auch er wartet , dass er von seinen Menschen entdeckt wird, die in ihm mehr sehen, als nur eine billige Alarmanlage zur Bewachung des Grundstücks.
Der Tag hat in Ungarn nie genug Stunden, auch für uns nicht, die wir ja nur die wenige Zeit vor Ort möglichst effektiv und im Sinne der Hunde nutzen wollen.
Der letzte Rundgang waren für mich dann nochmal die Gehege, in denen die Älteren laufen.
Und ganz besonders fiel mir hier ein gegensätzliches Pärchen auf, einmal Zsazsa, eine dickliche, fröhliche, nicht mehr ganz junge, gestromt Hündin, und Zana, ein kräftiger Schäfermixrüde.
Zsazsa, die man vermutlich als nicht sehr schöne Hündin bezeichnen würde, stach für mich sofort mit ihrem lächelnden Gesicht aus der Menge. Sie ist sicher eine von denen, die immer wieder übersehen werden, aber trotz allem nicht den Mut verlieren, das Beste aus ihrer Situation machen und immer wieder aufstehen, noch und bis jetzt zumindest.
Bei Hunden wie Zsazsa freue ich mich einerseits zu sehen, wie gut sie alles immer noch meistern, andererseits habe ich genau bei denen Angst, beim nächsten Wiedersehen einen Hund vorzufinden, der all das dann verloren hat und bei dem die Mutlosigkeit Einzug gehalten hat.
Zana ist von den äußeren Bedingungen einer, der ähnlich wie Zsazsa ist, unscheinbar, älter und ohne besondere Merkmale und auch schon Ewigkeiten im Tierheim.
Aber im Unterschied zu seiner Gehegegenossin hat er bereits weniger Hoffnung. Er kommt nicht mehr ans Gitter, wenn man ihn ruft, er schaut und wendet sich dann meistens ab, zu oft ist er wohl aufgestanden, ans Gitter gekommen und dann doch übersehen worden. Zu oft für Zana jedenfalls. Es tut weh, sich vorzustellen, wie Zana früher einmal gewesen sein mag, als er noch dachte, auch eine Chance zu haben. Zana hofft wohl nicht mehr allzuviel, ich tue es noch, sonst wäre es nicht zu ertragen.
Wie immer kommt dann am Samstag nach zwei Tagen voller Eindrücke der Abschied.
Zum einen freut man sich wahnsinnig für die Hunde, die es geschafft haben, die in eine freundliche und liebevolle Zukunft reisen, zum anderen wird mein Herz jedes Mal schwer in dem Moment, wenn wir vom Hofplatz des Tierheims fahren und ich in die Gesichter derer sehe, die im ersten Gehege unsere Abfahrt mit verfolgen können.
Es hat jedes mal etwas von Verrat an jedem einzelnen von ihnen für mich und ich hänge den Rest der Fahrt immer mal wieder mit den Gedanken daran, auch, wenn es mich entschädigt zu sehen, wie sich die neuen Familien der reisenden Hunde auf ihre Schützlinge freuen, wie ein gestern noch Weggeworfener heute zum Familienmitglied wird und aus dem ES ein ER oder eine SIE wird.
Und wie ist es jetzt mit der Distanziertheit?
Ich glaube, man hat sich nur einen Panzer zugelegt, der einen schützt. Eine Ritterrüstung gegen die Rohheit und Grobheit einiger anderer, gegen das Wegsehen, gegen die Gleichgültigkeit.
Auch gegen die Wut, zu sehen, dass immer noch so unglaublich viele Menschen meinen, sie müssten einen Hund vom Züchter holen, nur dann hätten sie den optimalen Begleiter, gegen diese Verzweiflung, es ihnen nicht begreiflich machen zu können, dass diese Hunde dort genausoviel wert sind, genau die gleiche Liebe und Treue zu vergeben haben, wie andere.
Und gegen die Vorurteile, Tierheimhunde seien kaputte und verhaltensgestörte Wesen, die nur ein erfahrener Hundehalter aufnehmen kann.
Und dabei hilft etwas Distanz ungemein.
Aber es hilft auch die Hoffnung, die durchaus da ist, was mir die vielen positiven Übergaben, die Freude der Menschen, die helfen, derer, die Spenden, Flyer verteilen, über ihre Schützlinge erzählen, die vor Ort rund um die Uhr da sind, die in ihrer Freizeit Gassi gehen im Tierheim und vieles mehr.
Und auch die, grade dort vor Ort, die nicht mehr wegsehen, die wissen, wie wichtig Kastrationen sind und die ihre Kinder schon nach einem anderen Vorbild erziehen, als die Generation vorher.
Danke dafür an all diese Menschen!
Kristina Schnoor von kettenlos