Ungarnfahrt vom 16. - 18.01.2014
Es ist Donnerstagmorgen, sehr früh am Morgen, für mich eigentlich zu früh. Aber die Stimmung ist gut, als Ralf und ich uns auf den Weg machen. 17 Hunde sollen auf dem Rückweg dabei sein. Das Auto wurde schon am Abend vorher mit den entsprechenden Boxen bestückt.
Bis kurz hinter Hamburg läuft alles wunderbar, dann blitzt es am Straßenrand. Ralf ist ein ganz wenig zu schnell unterwegs. Schön, denke ich ein wenig schadenfroh, dass es nicht mich erwischt hat. Es regnet und regnet und regnet. Eben typisch norddeutsches Winterwetter. Wir hätten so gerne ein wenig Sonne. Aber darauf müssen wir noch warten. Je weiter wir Richtung Süden fahren desto besser wird das Wetter. Kleine Wolkenlücken öffnen sich und zwischendurch scheint schon mal die Sonne.
Wir kommen gut voran, keine größeren Staus, keine Verzögerungen. Es zeichnet sich ab, dass wir zeitig ankommen werden. Wir freuen uns, es wird dann wohl eine erholsame Nacht werden.
Kurz vor der österreichischen Grenze füllen wir an einer günstigen Tankstelle den Tank noch einmal und gönnen uns eine Tasse frischen Kaffee. Ralf kennt sich aus. Er weiß, wo der Diesel am günstigsten ist und wo der Kaffee gut schmeckt. Kaffee – für uns Lebenselixier auf diesen Touren. Inzwischen haben wir schon einen kleinen Tauchsieder und Kaffeepulver an Bord. Aber der Kaffee an den Raststätten schmeckt eben doch besser.
Die Kilometer durch Österreich ziehen sich in die Länge. Müdigkeit macht sich breit und ich sehne mich schon nach meinem Bett im Hotel. Wien taucht auf. Die Autobahn führt über eine Anhöhe und vor uns liegt ein Lichtermeer. Ich bin jedes Mal wieder beeindruckt. Wie immer denke ich, irgendwann nehme ich mir die Zeit, diese Stadt zu erkunden.
Im selben Moment blitzt es. Dieses Mal hat es mich erwischt. Meine Schadenfreude vom Morgen rächt sich. 80! Habe ich doch gesehen. Nur dachte ich, dass damit die Lkws gemeint seien. Nein, wir sind gemeint.
Wir überqueren die Grenze nach Ungarn. Nun ist der Weg nicht mehr weit. Gegen 22 Uhr kommen wir im Hotel an und werden dort wie immer freundlich begrüßt. Man kennt uns schon. Wir kommen ja jeden Monat.
Nach einer geruhsamen Nacht freuen wir uns auf das Frühstück. Wir genießen den frischen heißen Kaffee und stärken uns für den Tag. Viel Zeit haben wir nicht. Nur der Freitag bleibt uns für das Tierheim.
Auf dem Weg zum Tierheim kommt ein Anruf. Wir müssen umdisponieren. Eva wurde zu einer Rettungsaktion gerufen. Wir biegen ab, um uns mit ihr zu treffen. Als wir ankommen, sehen wir Eva und zwei Tierheimmitarbeiter. Zusammen gehen wir auf das Grundstück. Wir sehen einen Zwinger, in den man von oben hineinschaut.
Das Grundstück liegt an einem Hang. Dort schaut uns ein mittelgroßer Mischling neugierig an. Vielleicht ein Schäferhund-Husky-Mischling. Der Hausbesitzer soll ausgezogen sein, um in Deutschland zu arbeiten.
Wie kann man fortgehen und seinen Hund zurücklassen, einen Sack Futter bei den Nachbarn abstellen und einfach verschwinden? Was geht in solchen Menschen vor? Der Hund ist allein und wartet und wartet. Niemand kommt.
Ich versuche, mich in die Lage des Tieres zu versetzen. Traurigkeit und Wut breitet sich in mir aus.
Plötzlich sehe ich, dass da noch etwas ist im Zwinger. Zuerst ist nicht zu erkennen, was dort liegt. Ein kleiner toter Hund. Und der liegt sicherlich schon länger dort. Die Polizei trifft ein und der Amtveterinär.
Nachdem der kleine Kadaver herausgeholt ist, stellt man fest, dass der Schäferhung-Mischling in einem guten Zustand ist, und es wird beschlossen abzuwarten, ob man den Besitzer kontaktieren kann.
Mehr oder weniger unverrichteter Dinge fahren wir wieder ab. Doch die Bilder verfolgen uns noch eine lange Zeit.
Nach einem schnellen leckeren Mittagessen fahren wir in ein weiteres Tierheim in der Nähe von Tatabánya, um uns dort ein wenig umzuschauen. Auch hier herrscht in erster Linie Enge durch die große Anzahl von Hunden. Auch hier – genau wie in Tatabánya – ist diese Aussichtslosigkeit zu spüren. Ein Tag verläuft wie der andere. Keine Abwechslung für die Tiere.
Der Weg zurück nach Tatabánya verläuft ruhig. Wir hängen unseren Gedanken nach, verarbeiten die Bilder, die Eindrücke, das Erlebte.
Ich denke an meine Hunde zu Hause. Sie haben es gut. Sie liegen auf dem Sofa in der warmen Stube, genießen ihre Streicheleinheiten, die Aufmerksamkeiten. Jeden Tag sind sie bei uns, schenken uns so viel. Ich überlege, was sie empfinden, wenn ich nach Hause komme. Ich trage diesen Geruch mit ins Haus. Sie kennen diesen ganz speziellen Geruch. Sie kennen ihn so gut wie ich. Er ist immer da. Ich kann ihn abrufen, jederzeit.
Zurück im Tierheim Tatabánya wird es fast schon dunkel. Wie gut, dass unsere Boxen schon fertig aufgebaut sind.
Schnell müssen noch von einigen Hunden neue Bilder gemacht werden. Die Tierheimmitarbeiter holen die entsprechenden Hunde. Schnell ein paar Fotos und zurück in die Enge des Zwingers.
Die Hunde sind alle freundlich. Besonders hat es mir Kincsö angetan. Sie springt an mir hoch, leckt mir das Gesicht und freut sich über die kleine willkommene Abwechslung. Auch so ein Hund, den ich sofort mitnehmen könnte. Ich habe das Gefühl als lächle sie mich an. Sie kuschelt sich an mich, so stark, dass ich fast umkippe. Sie möchte spielen, rennen, schmusen, sich in eine Decke kuscheln. Und was sie hat, ist Kälte, die Sehnsucht und immer noch die Hoffnung, dass sich ihr trister Alltag vielleicht irgendwann ändert.
Wir werden dafür sorgen, kleine Kincsö.
Es ist dunkel als Eva von ihrer Spendensammeltour zurückkommt. Einige Kartons mit Wurst und Käse, die zusammengemischt an die Hunde verfüttert werden. Alles wird ausgeladen und verstaut.
Es ist schon wieder spät geworden. Wir fahren zum Hotel, wieder mit dem Gefühl, eigentlich viel zu wenig Zeit zu haben. Am nächsten Morgen soll es für einige Hunde in ein neues Leben gehen und wir wollen ausgeruht starten. Ein Abendessen in der Nähe des Hotels und dann ab ins Bett.
Der Sonnabendmorgen beginnt mit einem ausgiebigen Frühstück. Die Koffer sind schon wieder fertig gepackt. Wir checken aus und fahren zum Tierheim, um die Hunde abzuholen und sie in ein neues Leben zu fahren. Alles klappt wie am Schnürchen. Noch kurz bei Eva zu Hause vorbei, um die kleinen Hunde abzuholen, die bei ihr zu Hause sind, und dann starten wir mit einer halben Stunde Verspätung.
Wir kommen gut voran und nach und nach steigen unsere Passagiere aus. Wir sind müde und kaputt als wir in Hamburg ankommen. Eine kurze Strecke liegt dann noch vor uns. Aber ab Hamburg habe ich immer dieses Heimatgefühl. Man ist ja schon fast zu Hause.
Angekommen, schleiche ich mich ins Haus und denke noch: „Nur keine Lärm machen. Dann kommst du vielleicht ohne dieses Begrüßungsgetöse ins Bett.“
Aber nein, der erste meiner Hunde hat schon festgestellt: Sie ist wieder da. Und sofort geht ein ohrenbetäubender Lärm los. Sie freuen sind, sind außer sich vor Aufregung. Ich sehe das Glück in ihren Augen und schon sind meine Gedanken wieder im Tierheim, bei denen, die es noch nicht geschafft haben.
Da ist Solt, der immer nur in der hintersten Ecke sitzt und nicht mal nach vorne ans Gitter kommen mag. Ich sehe ihn vor mir, wie er dort sitzt, immer nur zu Boden guckt.
Hoffnungslosigkeit, Traurigkeit, ohne Aussicht auf Änderung dieser Situation.
Aussichtslos? Wirklich aussichtslos?
Wie gerne würde ich diesen Hund in ein neues Zuhause fahren. Wie gerne würde ich ihn glücklich sehen. In meinem Kopf läuft er über eine Wiese, seine langen Ohren fliegen, seine Augen strahlen.
Vielleicht geht irgendwann auch die Sonne auf für Solt!
Edith Kniehase von kettenlos