Persönlicher Bericht Pilgern 2014
Wir sind gepilgert. Aufgrund der Hitze sehr früh am Morgen losgelaufen, eine Strecke von ca. 20 km lag vor uns.
Auf dem Rücken einen Rucksack, der mit Wasser gefüllt war, in dem Näpfe für die Hunde waren und eine Kleinigkeit zu essen.
Jeden Morgen ging es los. Mit frischem Mut und strammen Schritten unsere Route entlang. Nur ein paar Kilometer weiter haben wir Rast gemacht, die Rucksäcke von den Schultern genommen und Wasser in die Näpfe für die Hunde gegeben, dass sie trinken konnten.
Dann haben wir etwas getrunken. Das Wasser wurde weniger, das Gewicht auf dem Rücken aber immer schwerer. Schritt für Schritt schwerer. Nicht einmal nach der Hälfte der Strecke war der Sack auf dem Rücken lästig. Er drückte und die Schulterriemen schnitten sich in die Haut.
Wieder Pause, wieder Wasser für alle, einen Happen für Hund und Mensch. Aufschultern, weiter.
Mit jedem zurückgelegten Meter wurde der Rucksack, der sein Gewicht ständig erleichterte durch unsere Wasserportionen, schwerer.
Unsere Worte wurden schnell weniger und eine sich bewegende Stille begleitete uns. Schmerzen mussten ignoriert werden, um überhaupt noch einen Schritt vorwärts zu kommen. Und der Rucksack legte sich auf unsere Rücken, passte sich an und zog unsere Schultern in die Tiefe.
Ist es immer so, fragen wir uns, ist es immer so, dass das, was eigentlich leerer wird, dann schwerer wiegt?
Es scheint nicht zu reichen, das Wasser auszutrinken, um von dem Problem erlöst zu werden. Stattdessen quält es uns weiter, staucht uns zusammen und behindert schnelles Vorankommen.
Je leichter der Rucksack, so schien es, umso langsamer wurden die Beine, umso mehr schmerzten die Füße, der Rücken.
Grenzen? Welche Grenzen waren gemeint? Die Grenzen des Gewichts des Rucksacks? Der begrenzte Weg, der Geist, der sich oftmals nur um die Frage drehte, wie weit ist es noch?
Oder gar die Frage, bin ich hier jetzt am Ende meiner Kraft?
Bei einem längeren Stopp in der Mittagszeit wurden die leeren Flaschen aufgefüllt und wieder in die Rucksäcke gepackt. Aufgeschultert. Weg finden und weiter gehen. Vorwärts schauen, bis zur nächsten Kurve, dem nächsten sichtbaren Ziel oder einfach dem weit entfernten Schild, auf das wir Hoffnungen setzen, die oftmals nicht erfüllt wurden.
Zu weite Wege gemacht, festgestellt, dass der letzte Weg völlig unnötig war, und wieder zog es schwerer als je zuvor nach unten. Mit den Händen an den Schulterriemen weiter durch hitzeglühende Seitenwege, vorbei an Vorgärten in denen der Rasen gesprengt wurde, es wurden traumhaft schöne Alleen durchwandert, die ein wenig Schatten spendeten.
Und doch war es überall menschenleer. Wir haben auf unseren Wegen keine Fahrzeuge, keine Menschen gekreuzt, nur sehr wenige waren unterwegs in der Sonne. Einsamkeit, inmitten blühendem Leben.
Immer wieder tranken wir, leerten wir Wasser, um dann fast am Gewicht des Schultergürtels zusammenzubrechen. Doch nur ein paar Schritte, dann hatten unsere Körper den ersten Schmerz verdaut und stellten sich ein auf unseren Gang.
Schritt für Schritt.
Erst am Ziel kam es dann, dass gar nichts mehr ging und kaum die Kraft da war, die Schlafstelle hochzuklettern oder noch einmal loszulaufen, um etwas Essbares zu kaufen.
Sommer in Schleswig-Holstein auf dem Ochsenweg. Ein nicht vorstellbares Erlebnis, das wir bei den anhaltenden Temperaturen von mehr als 30 Grad vorzeitig abbrachen.
Kein Rucksack mehr, der drückt, kein Schmerz mehr in der Wade oder an den Füßen. Und doch große Trauer bei uns, weil wir aufgegeben haben. Der Rucksack ist jetzt leer, doch er zieht uns nun, auch ohne zu wandern, zu Boden!
Jeder Tag war ein Geschenk, eine unerklärliche Bereicherung unseres Lebens.
Ob das die Tiere auch so empfinden würden? Ob sie ebenfalls so einen Bericht verfasst hätten?
Ich denke nicht. Dieser Weg war für die Tiere oftmals der letzte, den sie gegangen sind. Sicher hatten sie keinen schweren Rucksack im Gepäck, oder doch?
Uns sind viele Tiere begegnet. Störche, Fischteiche, die Privateigentum sind, Jagdreviere, wo eindeutig beschildert war, dass dort geschossen wird.
Auf einer Weide liefen viele Gänseküken, nicht mehr ganz so klein, die weißen Federn waren noch nicht vollständig ausgebildet. Eine schnatternde Schar, die wir bestaunten, an der wir uns erfreut haben.
Die Freude war ebenso schnell verflogen, wie sie kam, denn uns wurde augenblicklich klar, dass diese zauberhaften Geschöpfe, auch wenn sie auf einer Wiese liefen, der zukünftige Weihnachtsschmaus sind.
Wir haben gemeinsam entschieden, keine Bilder zu machen, denn sie sind totgeweiht, ihre Tage sind gezählt und wir wollten für diesen kurzen Lebensmoment, der ihnen bleibt, nicht stören und sie aufscheuchen.
Weiß ein Schäfer, wie viele Schafe er hat? Es sind inzwischen weniger geworden auf den Weiden. Der große Transporter, der die Tiere auf den Schlachthof bringt, war schon einmal da. Noch laufen die Jüngsten zwischen den Alten. Auch das Schaf, das eine Deformierung an der Hüfte hat. Es ist ganz krumm im Rücken, kann sich nur in Kreisen bewegen, aber das Fleisch wird genauso schmecken.
Es spielt scheinbar keine Rolle mehr bei der Anzahl der Tiere, die täglich konsumiert werden, ob eines mehr oder weniger. Ob eines behandelt werden muss oder nicht. Wie denn auch, wenn täglich Tausende zur Schlachtbank geführt werden.
Küken die geschreddert oder erstickt werden, weil sie das falsche Geschlecht haben, ganz geröstete Tages-Ferkel auf dem Grill, Kühe, die ihre Kälber nicht mehr tränken dürfen, weil wir Milch trinken wollen?
Was ist das für eine selbstherrliche, gefühllose Welt? Wir töten willkürlich aus Egoismus und nicht wegen Hungersnot!
Der Ochsenweg in Schleswig-Holstein. Ein Leidesweg für viele Tiere der Vergangenheit.
Ist der Abtransport ins Schlachthaus heute nicht um ein vielfaches grausamer?
Der Rucksack ist leer, doch die Schwere ist unerträglich!
Wir werden weiter gehen und Abbitte leisten an dem Schmerz unserer Welt, unserer Mitgeschöpfe. Auch nach dieser Reise.
Schritt für Schritt.