Bericht zur Demo
Wir sind laut - wir sind hier - für die Befreiung von Mensch und Tier
Am Samstag, den 11. Oktober 2014 kamen in Hamburg zahlreiche Aktivistinnen am Neugrabener Marktplatz zusammen, um gemeinsam laut zu werden gegen das LPT.
LPT - drei Buchstaben, scheinbar ganz harmlos - stehen für unsägliches Leid und schreckliche Qualen für tausende Tiere, Mäuse, Ratten, Kaninchen, Katzen, Affen und viele mehr. Unsägliche Grausamkeiten, die sich tagtäglich hinter den Mauern der Gebäude des Laboratorium für Pharmakologie und Toxikologie ereignen, denen die Tiere hilflos und bis vor einiger Zeit auch noch von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt, ausgesetzt sind.
Seit einigen Jahren setzen sich verschiedene Organisationen für die Schließung des LPTs ein und versuchen, die Öffentlichkeit immer mehr aufzuklären über die Sinnlosigkeit von Tierversuchen und das Ausmaß der Qualen in diesen Laboren.
Die Demonstration am Samstag wurde weitestgehend von der Aktionsgruppe "LPT schließen" auf die Beine gestellt und organisiert.
Um zwölf startete die Veranstaltung mit einer Kundgebung auf dem Marktplatz in Neugraben. Hier wurden Flyer verteilt, aufgeklärt über das LPT im Allgemeinen und Firmen und Zulieferer, die mit diesem Unternehmen zusammenarbeiten; es gab vegane Brötchen und Snacks, mit denen man sich für die bevorstehende Strecke stärken konnte. Und es wurde zu Friedfertigkeit und Umsichtigkeit aufgerufen seitens der Veranstalter.
Der Demozug setzte sich gegen halb zwei in Bewegung Richtung Redderweg, in dem das Labor einen seiner Sitze hat.
Ca. 700 Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet waren zusammengekommen, um gemeinsam für die Tiere und gegen unnütze und grausamste Versuche an ihnen zu protestieren, um Aufklärung zu betreiben und um laut gegen das Unrecht und die Verbrechen, die auf dem Gelände dieser Firma praktiziert werden, aufzuschreien.
Es ging durch schöne herbstliche Hamburger Vorortstraßen, an beschaulichen Eigenheimen vorbei, bis hin zum LPT selber. Dort versammelte man sich, um auch hier, direkt vor dem Zugangstor, weiter zu skandieren und zu protestieren. Plakate wurden aufgehängt und die mitgebrachten Schilder hochgehalten.
Nach einer Weile verschafften sich einige der Aktivistinnen Zugang zum Gebäude. Es gelang ihnen, den Stacheldraht und die hohen Absperrvorrichtungen zu überwinden und auf dem Gelände weiter zu protestieren.
Draußen wurde weiter skandiert und viele der Aktivistinnen warfen Papierflieger mit Botschaften für die Tiere und gegen die an ihnen verübten Grausamkeiten über den Zaun. Vor dem Gebäude und auf den Gehwegen vor dem Labor waren Schriftzüge zu lesen, wie "Blut an euren Händen", "Stoppt den Mord" oder "LPT schließen, sofort".
Kurz nach dem Eindringen der Aktivistinnen auf das Gelände rückte eine Hundertschaft der Polizei an und sicherte die Räumlichkeiten des LPT.
Die Stimmung war sehr emotional aber friedlich, die Ohnmacht, die viele Teilnehmer direkt und unmittelbar vor dieser Qual- und Tötungsanstalt überfiel, war deutlich greifbar. Um die sehr emotionale Stimmung zu senken, wurde die Veranstaltung seitens der Verantwortlichen beendet, nach kurzer Zeit jedoch als Spontandemonstration weitergeführt.
Unter massivem Polizeiaufgebot konnte der Demonstrationszug friedlich und weiter laut und informativ seinen Weg zum Endpunkt, der S-Bahn-Station Neugraben, fortsetzen. Hierbei ging die Strecke durch weitere Wohngebiete, in denen man den Teilnehmern oft zujubelte und Sympathie bekundete.
Um ca. 16 Uhr war die Veranstaltung beendet. Soweit die Eckdaten zu der Veranstaltung am Samstag. Eine Veranstaltung gegen Tierversuche und gegen das LPT.
Aber eigentlich war es viel mehr, um einiges mehr für die beteiligten Menschen, auch für mich. Deshalb möchte ich noch meine persönlichen Eindrücke vom Samstagnachmittag schildern: Lange hatte ich diesen Termin schon in meinem Kalender stehen. Damit auch auf den letzten Metern ja nichts dazwischen kommt.
Leider kann ich nicht zu den regelmäßigen Mahnwachen immer Donnerstags vor dem LPT kommen, da ich da grundsätzlich arbeiten muss. Ich wollte die Sache aber unbedingt unterstützen, wenn schon nicht den kleinen Haufen reger und rühriger Aktiver, die tapfer Woche um Woche dort stehen und sich beschimpfen und auslachen lassen, dann wenigstens nun die Großdemo.
Die Hunde waren versorgt, denn ich wollte selbst Beks, die sonst ja als einzige hier im Rudel "demoerprobt" ist, nicht mitnehmen, da im Vorfeld schon berichtet wurde, dass es sehr laut werden würde. Blieb nur noch die Frage "Zug oder Auto".
Aufgrund meiner geographischen Position, die am treffendsten mit "am A...der Welt" zu bezeichnen wäre, habe ich mich dann in letzter Minute fürs Auto entschieden, nicht die ökonomisch und schon gar nicht ökologisch beste Wahl, aber so passte es eben diesmal am besten in meinen Zeitplan. Leider waren wir etwas spät, da ich nicht mit so viel Verkehr auf der A7 gerechnet hatte.
Gleich beim Eintreffen am Marktplatz in Neugraben stieg meine Laune als ich die große Gruppe Gleichgesinnter sah. Ein schönes Gefühl, unter Menschen zu sein, die um die Problematik wissen und es genauso unerträglich finden, wie man selbst, die einen nicht als Spinner abtun und bei denen man nicht permanent mit "...nun übertreibst du aber, ich kann ja nun nicht auf alles achten..." oder "...so schlimm wird´s schon nicht sein, wir haben ja ein Tierschutzgesetz..." oder anderen Aussprüchen der Drei-Affen-Fraktion.
Toll fand ich auch gleich, dass hier alle möglichen Menschen zusammengewürfelt waren, total unterschiedliche Charaktere, Gruppierungen und Altersklassen. Herz und Empathie verbindet. So marschierten wir bei fast unwirklich schönem Herbstwetter durch gepflegte Straßenzüge, vorbei an schön getrimmten Buchsbaumhecken und kurz geschorenen Rasenflächen, ein kleines Spießeridyll, so ruhig, so friedlich, so unscheinbar...
Es war laut, es war eindringlich und es war gemeinsam. Ich scherzte mit mehreren Leuten, die ich von anderen Demos kannte oder via facebook, unterhielt mich mit meiner Freundin über die tolle Truppe, die hier zusammengefunden hatte, bis wir plötzlich da waren.
Da am Redderweg, da in der Nähe der Institution, die stellvertretend für Leid, Grauen, Qual und Elend ist. Der Demozug stoppte, nur langsam verteilten sich die Aktivistinnen auf dem Platz vor dem LPT.
Wir waren eher im hinteren Teil und ich konnte nicht sagen, warum, wollte aber weiter nach vorn, wollte sehen, wo sich das alles abspielt, wie das aussieht, wie sich das anfühlt, so direkt davor.
Ja, und dann standen wir direkt am Zaun. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte zu sehen, aber es war ein unscheinbares Gebäude, mehr ein Zusammenschluss vieler kleinerer Häuschen, davor ein gepflegtes Rasenstück, auf dem auch Herbstlaub lag, viele bunte Blätter, gelbe, rote, braune, genau wie bei mir zu Hause, genau wie überall.
Ich glaube, genau das war es, was mich dann fast übermannt hätte. Das offensichtlich Harmlose, nach außen hin Nette, Zuvorkommende machte es noch viel schlimmer, als wenn hier ein grauer, riesiger Betonklotz gestanden hätte, ohne Grünflächen mit ungepflegten Fassaden. Die scheinheilige Erscheinung inmitten scheinheiliger Nachbarhäuser, scheinheiliger Anwohner, die missbilligend die kleinen, liebevoll gefalteten Papierflieger und Infobroschüren zusammengeknüllt achtlos in ihre Tonnen warfen und sich dann wieder in ihre Häuser zurückzogen, achtlos, taktlos, lieblos im krassen Gegensatz zu ihren Vorgärten und Fassaden.
Und dahinter all die Tiere, die kleinen Körper, von keinem gehört, jeden Tag die gleichen schrecklichen Qualen ohne Hoffnung auf ein Ende. Sie haben niemandem etwas getan, sind nur sie selbst und haben niemandem, der für sie eintritt vor Ort, keinen, der kommt und sagt "Jetzt wird alles gut!", sie nimmt und hinausträgt in die Sonne, die Luft, auf den grünen Rasen.
Ich musste mit den Tränen kämpfen, musste mich zusammenreißen, nicht auf der Stelle laut loszuheulen, laut zu schreien. Ich kann es gar nicht genau beschreiben, was in diesen Minuten in mir passierte. Ich weiß noch, dass ich so richtig demotiviert und mutlos war, weil mir in diesen Minuten bewusst war, dass wir hier stehen, unser Anliegen vortragen und ... wieder gehen - ohne die Tiere, die weiter in ihrem Elend gefangen sind, ohne zu wissen, dass es auch andere Menschen gibt, auch andere, denen es nicht egal ist, die keine Monster sind, dass es ein ganz klein wenig Hoffnung gibt.
Bis ich plötzlich noch lautere Stimmen vernahm und Jubel und Beifall. Dann habe ich sie gesehen, sie waren auf dem Gelände, sie waren drin, näher an den Tieren, näher dran als wir alle, nah dran an anderen Möglichkeiten.
Natürlich war es Quatsch, was mir später auch bewusst war, aber in diesem Moment kam die Hoffnung zurück, vielleicht genau jetzt doch wenigstens einem der Tiere helfen zu können, wenigstens eines nicht zurücklassen zu müssen. Schnell war auch das zunichte gemacht, denn diesem kleinen Grüppchen Aktivistinnen wurden sofort eine Hundertschaft der Staatsmacht gegenübergestellt.
Glücklicherweise konnten alle, die vorab auf dem Gelände waren, dieses noch vor der Polizei verlassen. Dann sah ich mich hinter dem Zaun martialisch ausgerüsteten Polizisten gegenüberstehen und ich weiß nicht, wann ich zuletzt so eine Wut und eine ungläubige Ohnmacht gefühlt habe.
Ich bin niemand, der gegen Polizisten hetzt oder sie mit anderen Begrifflichkeiten wie dem B-Wort tituliert, aber an diesem Nachmittag habe ich das getan, ganz leise und ganz für mich, weil ich wieder mit den Tränen kämpfen musste und mich nur gefragt habe, warum die Menschen immer die Falschen schützen, warum sie so blind für Unrecht und Ungleichheit sind.
Man hat gespürt, dass viele diese Wut empfunden haben, und das hat es ein wenig gemildert. Wir haben dann das Gelände verlassen, ich war noch immer fassungslos, besonders, als ich mich umdrehte und einige der komplett ausgerüsteten Polizisten im Gespräch mit einem Angestellten des LPTs sah, direkt vor dem Tor.
Ich kann es nicht verstehen, was diese Menschen bewegt, was sie antreibt und was sie glauben lässt, dass sie kein Unrecht begehen, bei dem, was sie machen. Wie können es die Anwohner dort aushalten, wie können sie dort tagtäglich leben, lieben, lachen, ihre Kinder spielen lassen und abends vor dem Schlafengehen noch in den Spiegel schauen.
Ich muss es nicht verstehen, ich werde es nicht verstehen und ich will es auch nicht verstehen.
Was ich aber muss und vor allem, was ich nun noch mehr will, ist, weitermachen - weitermachen, damit andere aufhören - aufhören zu verdrängen, zu beschönigen, zu quälen.
Als wir das Ende der Veranstaltung erreicht hatten, war ich durch meine Achterbahn der Gefühle durch: Traurig zu wissen, dass wir nicht unmittelbar geholfen haben, dass wir alle die zurücklassen mussten, die unsere Hilfe so dringend benötigen.
Froh, Menschen getroffen zu haben, die soviel auf die Beine stellen und oft so viel mutiger sind als ich, wie beispielsweise die alte Dame, die uns erzählte, dass sie früher aktiv bei Tierbefreiungen dabei war und die so durchdrungen war von der Rechtmäßigkeit ihres Handelns, so klar und offen bei dem, was sie sagte und tat.
Und hoffnungsvoll, dass sich irgendwann Dinge ändern werden, viel zu spät für so viele, aber vielleicht für eine bessere Zukunft für die, die noch kommen werden.
Als ich mich später auf den Heimweg gemacht habe, hatte ich im Auto zwei Stunden Zeit, nochmal alles zu sortieren, was mir aber nicht gelungen ist. Ich wusste wieder nicht, heute auch noch nicht, wohin mit all den widersprüchlichen Gefühlen, den aufwühlenden Emotionen. Was aber zu jeder Zeit da ist, was ich immer weiß, was immer gleich stark ist, ist das Bewusstsein, das verdammt nochmal Richtige zu tun.
Danke an alle, die mitmachen, die etwas verändern und die aufstehen und laut sind und hier - für die Befreiung von Mensch und TIER!
Kristina Schnoor