Schlachthofmahnwache am 04. November 2014
Es gibt für alles ein erstes Mal.
Dieses Mal war es für mich nicht unbedingt das allererste Mal. Ich hatte schon vor anderen Schlachthäusern gestanden. Nur waren das Zeiten, in denen dort kein Betrieb herrschte, nicht wirklich. Heute, in Bad Bramstedt war es anders.
Wir hatten uns vor Vion versammelt, dem Schlachtbetrieb, der erst Anfang des Jahres in die Schlagzeilen geraten war aufgrund von Nichteinhaltung des Tierschutzgesetzes in mehreren Punkten. Offenbar sind diese Missstände nun behoben und so konnte ich den artgerechten und angemessenen Umgang mit den Tieren bzw. der Ware, die dort im Stundentakt angeliefert wird, beobachten.
Eigentlich wusste ich gar nicht genau, was mich heute so erwartet. Schlachthaus - was heißt das eigentlich? Endstation für die, die unserer Gesellschaft Nutzen bringen sollen, deren einzige Bestimmung, die wir ihnen auferlegt haben, es ist, unseren Appetit zu stillen. Rinder, Schweine, Ziegen und Schafe.
Fühlende Wesen, Individuen wie wir, an denen Schmerz, Leid und Elend nicht abprallt, die Wohlgefühl zeigen können, Unmut, aber auch Freude. Tatsächlich langt das nicht für die meisten von uns, es reicht nicht, um ihnen Mitgefühl und Respekt entgegen zu bringen. Wir hatten vorher im Auto auf der Fahrt darüber gesprochen, dass irgendwie alle außer mir Angst vor diesen Stunden vor dem Schlachthaus hatten.
Die anderen hatten schlecht geschlafen, ihnen war übel und sie haben vorab schon mit ihren eigenen Dämonen gekämpft, da jeder von uns Bilder in der Theorie bereits kannte, Bilder, die so realistisch nachzufühlen waren, dass jeder von uns bereits schon lang seine Konsequenzen daraus gezogen hatte und vegan lebte. Ich hatte nicht schlecht geschlafen, nicht verstörend geträumt und mir war auch nicht übel.
Ein paar gemischte Gefühle hatte ich und im Vorfeld bin ich gefragt worden, warum ich mir das antue, warum ich mich dem aussetze, so direkt, live und mit allen Sinnen. Nun, ich wusste ja nicht so genau, was ich heute zu der Uhrzeit erleben werde. So erwartete uns ein kleines Grüppchen Aktiver bereits vor dem Schlachthaus, viele Gesichter kannte ich bereits.
Meine Freundin, die bereits dort war, kam mir schon weinend entgegen, sie hatte sich seitlich des Zaunes aufgehalten und verfolgt, wie Kühe abgeladen wurden. Ich bin dann dorthin gegangen und habe es gesehen, das offizielle, artgerechte tierschutzrechtlich abgesegnete Entladen der Ware Tier. Sie haben gebrüllt und sie wurden getrieben, der Stock, der dabei zum Einsatz kam, machte die Tiere noch panischer.
Eine Kuh hatte sich verkeilt, sie war augenscheinlich schlecht auf den Beinen, hatte Mühe, gerade zu laufen und stand so rückwärts in der Verladeschneise. Sie wurde von der Masse der nachrückenden Tiere einfach weitergeschoben, gedrückt und geklemmt, ein Störfaktor im reibungslosen Warenanlieferungsprozess. Eine Nummer, mehr nicht, die sich höchstens dadurch auszeichnet, dass sie bereits beschädigt ist. Ich habe das Verladen bis zum Ende verfolgt.
Für die Arbeiter dort ein normaler Vorgang, der unzählige Male am Tag stattfindet. Für mich ein weiteres Erlebnis, das sich eingebrannt hat in meine Erinnerung und in meine Seele. Für mich war diese eine Kuh keine Nummer mehr, ich habe versucht, nicht zu weinen und ihr mit meiner Anwesenheit ein Minimum an Respekt zu erweisen. Ich werde sie nie mehr vergessen, ihre Augen nicht und ihr Wehklagen auch nicht.
Nachdem wir uns alle vor den Toren Vions versammelt hatten, zogen wir in einem lauten Marsch durch die Innenstadt Bad Bramstedts. Eine Tierrechtsdemo mit den normalen Begleitern seitens der Passanten, Ignoranz, Beleidigung und Lächerlichkeit. Und wie immer in der Minderheit, wenige Sympathiebekundungen. Handzettel wurden verteilt und wir haben uns bemüht, laut zu sein, denn sie können wegsehen, sie können lachen und pöbeln, aber sie sind trotzdem gezwungen uns wahrzunehmen. Wir sind da und wir werden mehr, das ist die Kraft, die ich aus solchen Anlässen für mich schöpfe.
Warum tust Du dir das an, bin ich im Vorfeld gefragt worden. Warum siehst Du Dir noch das Verladen an, hat meine Familie zu Hause gefragt, nachdem sie mitbekommen hat, dass ich beim Erzählen des Erlebten natürlich traurig und verzweifelt war.
Warum habe ich nicht vorher Angst, warum erspare ich mir die einzelnen Bilder nicht, ich kenne sie doch bereits? Ich glaube, das ist mein Weg, mit der Ohnmacht umzugehen, die mich so oft überfällt, wenn ich nur die Bilder sehe. Die Ohnmacht, die jeden Tag da ist, die sich in einen hineinfrisst, still und leise, während man täglich mit der Flut der Informationen überrollt wird, Infos, die man alle schon kennt, die aber nimmer müde werden, sich selber in ihrer Grausamkeit zu überholen. Ich sitze dann oft daheim und denke: "Jetzt sofort musst Du aufstehen und etwas machen, irgendwas", und bleibe aber oft genauso sitzen.
Und diese Anlässe sind für mich der Motor, weitermachen zu können, nicht wahnsinnig werden zu müssen und an der Macht der Bilder und der nüchternen Realitäten zu ersticken. Ich bin nicht allein und etwas in mir hofft, dass die Tiere das irgendwie spüren, dass man ihnen so ein klein wenig Respekt zollen kann, ein Versuch zu zeigen, dass vielleicht irgendwann alles besser wird.
Genau daran möchte ich selber glauben. So wie vermutlich Sylvia, die kleine zierliche Person, die diese Aktionen initiiert hat, die wochenlang ganz alleine den Tieren in die Augen geschaut hat, wenn die Lastwagen mit ihrer Ware dort vorfahren, eine Ladung voller Elend, Leid und Unrecht.
Und wenn ich auch immer noch verzweifelt versuche zu ermessen, warum es mir das Herz bricht, allein darüber zu wissen, während es andere nicht einmal interessiert oder sie bei meinen Erzählungen lachend in ihr Wurstbrot beißen, so geben mir Menschen wie Sylvia Hoffnung - und ich glaube, genau das ist eben auch ein Grund, warum ich mir das antue.
Danke an Sylvia für ihr tolles und vor allem unfassbar mutiges Beispiel , dem nun hoffentlich immer mehr folgen werden.
Kristina Schnoor