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Adventsgeschichten
Nun ist es wieder soweit. Die festlichste Zeit des Jahres hat angefangen. Dieses Jahr ist vieles anders. Wir müssen uns damit arrangieren, so gut es geht. Aber um ein wenig Ruhe und Besinnlichkeit einziehen zu lassen und Ihnen und euch eine wundervolle Adventszeit zu wünschen, gibt es von uns einen Adventswochenendenkalender. Viel Freude beim Lesen und einen schönen ersten Advent wünscht das gesamte Team von kettenlos
Edwina, Chadwick und die Hoffnung
Es funkelte und glitzerte und im Lichterschein der Fenster des Hofes sahen die Sterne wie Kristalle auf einer dunklen Leinwand aus.
Chadwick schaute jetzt schon eine geraume Weile in den nachtschwarzen Himmel und wenn es im Stall nicht so bitterkalt gewesen wäre, hätte er den Moment tatsächlich genießen können.
„ Na, alter Junge, was erwartest du dort oben zu sehen?“, kakelte Edwina aus dem Strohhaufen hinter ihm. „ Es ist so entsetzlich kalt heute Nacht, komm und rücke ein wenig näher zu mir. Hier ist das Stroh etwas dicker eingestreut, da merkst du den Beton nicht so sehr.“
Chadwick rappelte sich mühsam hoch. Erst stellte er die Vorderläufe auf um dann, ganz vorsichtig und behutsam, die Hüfte anzuheben und den Rest der alten Knochen aufzurichten. Unsicher und wackelig stakste er die Stallgasse herunter, um sich dann neben die große, weiße Gans ins Stroh fallen zu lassen.
„Die Knochen machen dir heute wieder zu schaffen, sehe ich. Naja, wir werden halt nicht jünger, alter Freund. Das Feuer der Jugend wärmt uns jedenfalls nicht mehr“, seufzte Edwina.
„Aber,“ , ratschte sie unverdrossen weiter, „das ist denen da drinnen herzlich egal. Die hocken vor dem warmen Ofen, lassen es sich gut gehen und haben uns lange vergessen. Morgen früh, wenn sie uns zu Gesicht bekommen, können wir hoffen, dass sie daran denken, uns zu füttern.“
„Ach was, Edwina, nun hör endlich auf zu schwatzen und alles so negativ zu sehen. Sie sind halt beschäftigt, bald ist das große Fest der vielen Lichter, ich kann es förmlich riechen. Immer, wenn es richtig kalt wird und die Sterne besonders hell leuchten, wenn die Tage ganz kurz werden und die Nächte so lang sind, dass man das Gefühl hat, sie enden nie, dann geht es bald los mit der feierlichen Geschäftigkeit der Hofleute. Dann duftet es alles so köstlich, die Fenster sehen einladend aus und alles ist festlich geschmückt. Ich mag das sehr, Edwina, wenn nur die Kälte nicht so beißend wäre. Ich liebe diese Zeit, es ist alles so feierlich und ich fühle mich irgendwie aufgeregt.“
„Aufgeregt?“, gackerte Edwina. „Tatsächlich? Aufgeregt? Was soll denn passieren, was, Chadwick, was genau sollte dieses Mal anders sein, als es die letzten Jahre war, als in all den vielen Wintern vorher? Ich bin nicht mehr die stolze Gans, mein Gefieder ist über die Jahre stumpf und grau geworden, mein Gang ist nicht mehr imposant. Und auch du, mein lieber Chadwick, bist nicht mehr der aufrechte, drahtige Jagdhund, dessen Spürnase die beste in der ganzen Gegend war. Die Hofleute nehmen dich doch schon lange nicht mehr mit zur Jagd, du und ich, wir sind einfach über.“
„Vielleicht bin ich alt, Edwina, vielleicht ist mein Fell grau geworden und ich langsamer über die Jahre. Meinen Augen kann ich auch nicht mehr so recht trauen und ich habe manches Mal Mühe, zu verstehen, was gesprochen wird. Aber trotz alledem: Aufrecht bin ich immer noch!“, ereiferte sich der sonst eher besonnene Chadwick.
Edwina, die selbst für eine Gans sehr, sehr redselig war, hielt tatsächlich einen Moment inne.
„Was genau soll das sein, das dich aufrecht hält, mein lieber, freundlicher Chadwick? Was an diesem trostlosen Leben lässt dich den Mut nicht verlieren? Du bist alt, du bist schwarz und niemand braucht dich mehr. Die Menschen mögen niedliche, verspielte Hunde mit seidigem, hellem Fell, mit guten Spürnasen, wachen Augen und schnellen, flinken Beinen. So ist das, Chadwick, und nicht anders.“
Chadwick überlegte sehr lange, bevor er antwortete, so lange, dass Edwina schon dachte, er sein eingeschlafen.
„ Die Hoffnung hält mich aufrecht, Edwina.“, sagte Chadwick irgendwann leise. „ Hoffnung, dass mich jemand richtig ansieht, mit dem Herzen, nicht nur mit den Augen. Hoffnung, zu jemandem zu gehören, jemand, der sich sorgt, für den ich nicht bloß ein alter, schwarzer Hund mit müden Knochen bin. Ich weiß so vieles, habe Erfahrung und bin nicht mehr leichtsinnig und stürmisch. Das ist doch was!“
Edwina schüttelte ihr Gefieder und gackerte ärgerlich vor sich hin. Sie rollte mit ihren kleinen Knopfaugen lebhaft hin und her und gab leise Zischlaute von sich. Törichter, törichter Chadwick!
Verstohlen blickte sie zu dem alten Hund hinüber, sah, wie er mit müden Augen zum Himmel und den Sternen aufsah. Trotz der eisigen Kälte, trotz seiner Schmerzen und Beschwerden, wirkte ihr alter Freund seltsam gefasst. Die gutmütige Gans wollte ihm gern etwas tröstliches sagen, aber ihr fiel nichts ein, was sie ihm erwidern konnte. Sie hatte viele dieser Nächte mit Chadwick hier draußen verbracht, die alte, weiße Gans und der noch ältere, schwarze, große Hund. Ein seltsames Paar, Gefährten, die die Zeit und das gemeinsame Schicksal zu Freunden hatte werden lassen.
Oft hatten sie lange geredet und philosophiert, darüber, ob irgendwann alles besser werden würde, irgendwann Hunger und Kälte nicht mehr ihr ständiger Begleiter wären. Chadwick glaubte im Gegensatz zu Edwina fest daran, er liebte die Menschen.
Edwina sah das anders, sie hatte jegliche Illusion verloren. Ihr Körper schmerzte jeden Tag mehr und der ständige Hunger hatte sie mutlos und deprimiert gemacht.
Chadwick referierte immer wieder über diese blöde Hoffnung, dass man nie den Mut verlieren dürfe und so weiter. Edwina mochte davon nichts hören und sie merkte sehr wohl immer deutlicher, dass Chadwicks Augen dabei schon lange nicht mehr so leuchteten wie frühere, seine Stimme war nicht mehr so fest und überzeugend, wenn er davon sprach, dass irgendwann alles besser werden würde.
Und gestern , da hatte er ihr wirklich Sorgen gemacht. Während sie zusammen die Sternbilder anschauten, fiel eine Sternschnuppe. Kurz darauf, Edwina war fast schon eingeschlafen, hörte sie Chadwick flüstern:“ Ja, genau das ist mein Weihnachtswunsch!“
Edwina, die zum einen gar nicht wirklich sicher war, ob sie richtig gehört hatte, und zum anderen auch schon viel zu müde war, hatte nicht weiter nachgefragt, was es mit diesem Wunsch auf sich hatte.
Aber jetzt fiel es ihr wieder ein. Und sie schalt ihn im Stillen zum x-ten Male einen törichten, alten Hund, dessen Hirngespinste ihm noch zum Verhängnis werden würden.
Die nächsten Tage wurden für alle zur Qual. Es war am Tage nicht viel wärmer als des Nachts und ein eisiger Wind fegte um alle Ecken. Auch der dann einsetzende Schnee, der die Umgebung wie ein gemaltes Stillleben wirken ließ und alle Hässlichkeit unter seinem weißen Mantel begrub, konnte ihre schmerzenden Knochen und leeren Mägen nicht vergessen machen.
Inzwischen sah man Abends hinter dem schön geschmückten Fenster eine Kerzen brennen, die immer feierlich entzündet wurde, wenn die Hofleute um ihren Esstisch herum saßen, lachten, speisten und miteinander schwatzten.
Edwina und vor allem Chadwick schauten immer ganz fasziniert in das Fenster hinein, aber niemals blickte jemand zu ihnen hinaus.
Und dann kam sie, die kälteste Nacht des Jahres. Edwina und Chadwick waren ganz eng zusammengerückt und hatten, so gut es eben ging, das Stroh um sich herum aufgehäuft. Irgendwann waren sie zitternd eingeschlafen, Edwina hatte Chadwick immer wieder stöhnen hören.
Am nächsten Morgen war Edwina sehr früh aufgewacht, es war noch stockduster, aber sie musste sich unbedingt bewegen, da sie das Gefühl hatte, die Kälte würde sie sonst schlucken. Chadwick schlief noch, gut so! Als die Sonne endlich aufgegangen war und auf dem Hof schon reges Treiben herrschte, lag Chadwick immer noch so, wie er Abends eingeschlafen war. Edwina stupste ihn mit ihrem gelben Schnabel an, erst vorsichtig, dann immer forscher. Nichts passierte. Sie schüttelte ihr Gefieder, drehte ihr Bürzel wackelnd an seinem Rücken hin und her. Immer noch nichts, keine Regung von Chadwick. Nun geriet Edwina langsam in Panik, sie bekam furchtbare Angst und lief in ihrer Hilflosigkeit aufgeregt hin und her und fing an laut zu schnattern und zu gackern. So laut, dass auch die Hofleute aufmerksam wurden auf die alte Gans, die sich so sonderbar benahm. Sie kamen in die Stallbox und sahen auf Chadwick herab, redeten kurz miteinander und stießen in dann mit der Schuhspitze leicht an. Chadwick bewegte sich auch jetzt nicht. Edwina konnte es nicht ertragen und stürmte mit ihrem watscheligen Gang weiter laut rufend auf den Hofplatz, geradewegs in eine unbekannte junge Frau hinein, die soeben wegen einer anderen Sache auf den Hof gefahren war. Von Edwina aufmerksam gemacht sah sie Chadwick. Der alte Jagdhund lag reglos am Boden, er sah furchtbar zerbrechlich und verloren aus und seine Augen waren geschlossen. Die junge Frau begann eine Diskussion mit den Hofleuten, die im Verlauf immer hitziger wurde. Am Ende stand sie alleine etwas abseits und telefonierte. Chadwick rührte sich immer noch nicht und Edwina hatte sich ganz klein gemacht und in einer Ecke des Stalls versteckt, um alles beobachten zu können. Sie wimmerte leise vor sich hin und fühlte sich schrecklich machtlos und so traurig. Edwina überlegte, was sie jetzt noch für Chadwick tun könnte, als sich ein weiteres Auto näherte. Ein Mann mit einem kleinen Koffer stieg aus, ging flott zu Chadwick hinüber und beugte sich über ihn, so dass Edwina nichts mehr sehen konnte. Irgendwann stand der Mann auf und sprach mit der jungen Frau, die die ganze Zeit an Chadwicks Seite ausgeharrt hatte. Und Edwina traute ihren Augen nicht: Chadwicks Rute bewegte sich ganz langsam und zaghaft auf und ab. Seine Augen waren geöffnet, wenn er auch den Kopf noch nicht anheben konnte. Der Koffermann und die junge Frau sprachen noch kurz mit den Hofleuten und fuhren dann fort. Edwina wartete noch einen Moment und lief dann so schnell es ihre Füße erlaubten zu Chadwick, der nun auf einer dicken, weichen Matte lag. Er hatte sogar eine Decke bekommen, die über ihm ausgebreitet war. Edwina war so unendlich glücklich, dass sie gar nichts sagen konnte. Sie schmiegte sich an ihren alten Freund, der inzwischen wieder eingeschlummert war. Die alte Gans wachte die ganze kommende Nacht an Chadwicks Seite, spendete ihm zusätzliche Wärme und lauschte immer wieder, ob er regelmäßig atmete. Am nächsten und auch an den darauf folgenden Tagen kam die junge Frau und kümmerte sich um Chadwick, gab ihm zu essen und versorgte ihn. Edwina beobachtete alles aus gebührender Entfernung. Wenn die junge Frau gegangen war, hatte Chadwick immer diesen verklärten, glänzenden Blick, seine Augen sahen seit langer Zeit wieder klar und wach aus. Er redete wieder und wieder von Hoffnung und von der Sternschnuppennacht.
Und dann, als eine weitere Kerze auf dem Kranz hinter dem Fenster brannte, kam die junge, nette Frau wieder angefahren. Dieses Mal hatte sie eine Art Band dabei und legte es vorsichtig um Chadwicks Hals. Sie sprach ganz leise mit ihm und als sie ihm hoch helfen wollte, rappelte Chadwick sich auf und stand das erste Mal seit vielen Tagen selbstständig. Er schwankte und lief anfangs wie ein Betrunkener, wurde aber mit jedem Schritt sicherer und aufrechter. Edwina
staunte, wie würdevoll und anmutig Chadwick aussah, trotzdem er noch immer sehr, sehr dünn war. Die junge Frau lief dicht neben ihm auf dem Weg zu ihrem Auto. Immer wieder blieb Chadwick stehen und sah sich suchen um. Edwina wusste, dass er nach ihr Ausschau hielt. Sie wusste aber auch, dass sie Chadwick nun nicht mehr sehen würde, dass er nun woanders hinging, an einen Ort, der nur für ihn bestimmt war, nicht für Edwina. Und sie hasste Abschiede. Chadwick war fast am Auto angelangt, er blieb erneut stehen und sah sich lange um. „ Edwina! Edwina, bitte, ich möchte mich von dir verabschieden. Bitte Edwina!“ Edwina trat zögerlich aus dem Schatten des Stalls auf den Hofplatz hinaus und watschelte langsam und bedächtig zu Chadwick, den die junge Frau bereits auf dem Rücksitz des Autos untergebracht hatte. Es war alles sehr sauber und warm dort drinnen, Chadwick lag auf einer weichen Decke. „Tschüss, alter Junge, da hast du ja nochmal Glück gehabt!“, frotzelte Edwina salopp, um sich nicht anmerken zu lassen, wie schwer ihr das alles fiel. Chadwick sah sie ruhig und freundlich an. „ Ich will mich gar nicht lange verabschieden, denn wir sehen uns wieder, Edwina, schon bald, das glaube ich ganz sicher. Auf Wiedersehen, liebe, treue Freundin.“
Edwina konnte nichts sagen, so trocken war ihr Hals, wie zugeschnürt.
Die Autotüren schlossen sich und der Wagen rollte vom Hof. Edwinas Herz war tonnenschwer, als Chadwicks Gesicht hinter der Scheibe immer kleiner wurde. Sie war furchtbar traurig und fühlte sich entsetzlich allein, weil dieser alte, schwarze Hund über die Jahre von einem Leidensgenossen zu einem Freund geworden war.
Aber neben allem Abschiedsschmerz war da noch etwas. Als sie in Chadwicks Augen sah, die noch heller strahlten als die sternenhellste Nacht, erinnerte sie sich an seine Worte, an das, woran er immer geglaubt hatte, fest und unbeirrbar, und ganz tief in Edwinas Innern regte sich ein Gefühl.
In der folgenden Nacht fiel wieder eine Sternschnuppe und dieses Mal flüsterte Edwina ihren Wunsch zu den Sternen hinauf.
Kristina Schnoor von kettenlos
Hier geht es nicht zu Chadwick, aber zu einem anderen schwarzen, alten Hund in Not: Fekete
Fekete verliert in Kürze sein Zuhause und er benötigt dringend eine Sternschnuppe oder eben den richtigen Menschen, der ihn mit dem Herzen sieht!