Aktuelle Meldung
Oh du fröhliche
Es ist Samstag. Samstag Abend um kurz vor elf. Morgen ist Sonntag, der 2. Advent, Adventsgeschichtensonntag. Schön, wenn man Ideen für solche hat. Nicht schön, wenn man nicht weiß, worüber man schreiben soll. Grundsätzlich habe ich gar kein Problem Themen zu finden, über die ich Seiten, ja ganze Bücher füllen könnte. Das wollen aber leider die wenigsten lesen, zumindest nicht in diesem Rahmen. Eine Kollegin hat mir mal gesagt, dass sie hofft, mehr fröhliche Geschichten von mir zu lesen, gerade jetzt zur Weihnachtszeit. Aber Kitsch kann ich bei Deko, bei Filmen, bei Musik, aber verdammt nochmal nicht beim Schreiben. Warum eigentlich nicht? Sollte ich mich da vielleicht von innen heraus beleuchten, stimmt mit mir irgendwas nicht? Ich behaupte gern von mir, dass ich, wenn schon nicht immer nur nett, zumindest positiv bin, warum hab ich dann diese Blockade? Außerdem bin ich überhaupt kein Grinch, im Gegenteil, ich mag Weihnachten, mag die Filme, mag die Musik, die Lichter und das ganze Gewese drumherum. Aber ich bin auch schon groß(oder alt) und weiß, dass es im wirklichen Leben halt nicht den ganzen Tag Glitzerkugeln regnet und nur süße Düfte und liebliche Töne um einen herum wabern. Aber vermutlich brauchen wir genau deshalb die Institution Weihnachten mit all seinen Facetten. Weil wir keine 365 Tage mit der grauen Realität klarkommen, weil es um alle Hilfsbedürftigen übel bestellt ist, wenn nicht wenigstens an einem von zwölf Monaten an sie erinnert wird und wir gleichzeitig daran erinnert werden, wie gut es uns doch eigentlich geht. Wir müssen dann ganz selbstverständlich mal in den Tiefen unseres vermeintlich stressgeplagten work- life balancierten Alltags nach Dankbarkeit graben, nach Mitgefühl, nach Verständnis und vielleicht auch das schlechte Gewissen beruhigen. Das macht in unseren Breitengraden zu Weihnachten Sinn, denn im Sommer bei 28 Grad im Schatten fällt es mir halt einfach schwerer, mich in die Situation des Obdachlosen im Park hineinzuversetzen als in Dezember bei Nieselregen und 0 Grad mit Tendenz zu Frost. Wenn ich dann noch nach Hause komme in eine gemütlich warme Butze mit geschmackvoll dekorierter Seidenkiefer zwischen Eukalyptuszweigen und dezent glitzernden Sternen, dann packt mich eher das schlechte Gewissen, spätestens wenn ich den Fernseher einschalte und prompt bei einem der Spendenmarathons der Privaten lande und ich im unten vorbeiziehenden Banner lese, dass sogar Julia und Tim, beide 3 Jahre, 15 Euro gespendet haben. Aber soll ich dazu extra was schreiben? Zumal das ja nach meiner Theorie selbsterklärend ist und keine herausragende Begebenheit. Und Julia und Tim, die beiden Dreijährigen, vermutlich gar nicht wissen, dass Mama und Papa die 15 Euro auf die Reise geschickt haben.
Was mich auch triggert und nicht förderlich ist für fröhliche Geschichtsideen, gerade jetzt in der Weihnachtszeit, sind die ganzen Reels, Stories, Banner im Whatsapp Status, die mir von der Müdigkeit der Menschen berichten, Sie sind müde über so vieles, über Gleichgültigkeit, Herzenskälte, Jammerei und noch viele weitere unschöne Charaktereigenschaften der eigenen Spezies. Und ich kann das tatsächlich verstehen und auch unterschreiben. Aber ganz ehrlich, die meisten, die das posten, waren eh nie richtig wach, wovon sind die plötzlich müde? Haben die sich die Zähne ausgebissen in Kämpfen für etwas Besseres, haben die sich in ihrer Freizeit Projekten gewidmet, die global betrachtet einen Tropfen auf den heißen Stein bedeuten? Stehen die immer wieder auf, um jeden Tag den Kampf aufs Neue aufzunehmen?
Und da sind wir wieder bei den Vorteilen der Institution Weihnachten, Zeit, die Müdigkeit für 24 Tage zu vergessen, fröhlich shoppend und spendend durch den Tag zu leben, begleitet von Glühwein, Glimmer und Geschenken.
Das ökologische Gleichgewicht der ersten Welt Gesellschaft funktioniert dank dieser Tools noch ganz gut.
Ich merke grad, dass das hier wieder so viele negative Vibes bekommt und meine Zähne beim Schreiben aufeinanderstoßen. Ich wollte eigentlich die Kurve schon vor zig Sätzen gekriegt haben. Dann bieg ich jetzt halt scharf ab, ohne stimmigen Übergang: ich bin auch ein Wohlstandsbürger und ich habe Wohlstandsbürgerfreunde und Wohlstandsbürgerkollegen. Aber unter den meisten von ihnen finden sich Menschen, die nicht Weihnachten brauchen, um ihr Gewissen zu entdecken, die keinen Grund brauchen, um gegen Unrecht und Missstände aufzustehen an jedem einzelnen Tag des Jahres. Und dafür bin ich sehr dankbar. Wenn ich merke, dass ich müde werde von irgendwelchen menschlichen Befindlichkeiten, ich mal selber welche habe, dann erinnere ich mich daran und kurz danach geht´s mir wieder gut, zumindest besser!
Also, jetzt hab ich das Motto der heutigen Adventsgeschichte doch noch gefunden:
Lasst und dankbar sein für alles, was uns nicht müde macht, nicht traurig, nicht wütend oder verzweifelt, denn so lange wir da noch was finden, was uns lachen oder wenigstens schmunzeln lässt, haben wir noch so viel mehr als viele andere!
Und natürlich ist Weihnachten noch viel mehr als die einseitigen gedanklichen Momentaufnahmen eines Samstagabends. Und nun ist es fast vsowas wie eine Geschichte geworden, noch dazu eine fast fröhliche...
Wir von kettenlos wünschen euch allen einen schönen 2. Advent! Umgebt euch mit schönen Dingen und vor allem mit tollen, wachen und klaren Menschen und vergesst auch mal, was so alles passiert, zumindest für ein paar Stunden. Denn auch dafür ist Weihnachten gut.
Kristina Schnoor von kettenlos