1000 Lichter gegen den Labortod
Spätnachmittägliche Vorweihnachtszeit.
Dementsprechend kalt ist es, klare, schöne Luft.
Wir sind draußen, es ist bereits dunkel, doch es leuchtet hell.
Ein Leuchten von tausend Kerzen, Grablichtern und Lichterketten umgibt uns. Eigentlich schön. Der Anlass, der uns hierher geführt hat, ist nicht schön.
Wir haben uns hier mit vielen anderen eingefunden, um denen eine Stimme zu geben, die selber nicht für sich sprechen können. Die Opfer sind.
Opfer, weil sie leben, wie wir, aber in einem anderen Gewand. Sie atmen und fühlen wie wir, aber in einer anderen Hülle, sie haben Fell anstelle von Haaren, Schuppen oder auch Federn.
Sie fristen ein Leben in sterilen Käfigen, alleine, ohne Ansprache.
Sie werden nicht umsorgt, nur versorgt. Minimal.
Sie sollen sich nicht wohl fühlen, nur zu unserem Wohl fühlen. Und dieses Fühlen besteht aus Schmerzen und Verzweiflung, Verzweiflung und Schmerzen.
Und Müdigkeit und Apathie. Ein immerwährender Kreislauf.
„Sie“, das sind die Tiere, die jemand irgendwann als „Versuchstiere“ klassifiziert hat.
In ihrer natürlichen Ordnung sind sie Affen, Hunde, Katzen, Schweine, Ratten, Mäuse, Kaninchen, Hamster, Fische.
Hier und in vielen anderen Laboren sind sie aber nur noch „Versuchstiere“, Objekte, die benutzt werden.
Ausnutztiere.
Ich habe einmal einen Aktivisten sagen hören, dass unter all den Verbrechen, die wir an Tieren begehen, die Tierversuche das schwärzeste Kapitel der Verbrechen sind.
Ich glaube, Leid und Verbrechen an Wehrlosen kann man nicht abwägen, nicht klassifizieren, nicht messen in schlimm, schlimmer, am Schlimmsten.
Aber man kann und muss dazu Stellung beziehen. Weil es Unrecht ist.
Es ist nicht besonders weihnachtlich, über das Leid an den Versuchstieren zu berichten. Es ist nicht besinnlich, über Affen zu erzählen, die über Stunden an einen Metallstuhl gefesselt sind mit einem in ihren Kopf implantierten kalten Metallklotz. Über Mäuse zu berichten, denen zugesehen und geschaut wird, wie lange sie schwimmen, bis sie verzweifelt aufgeben und ertrinken.
Bilder von Katzen mit von Spritzen zerstochen Beinchen, Kaninchen mit verätzter Haut und Hunden, die sich über Stunden hinweg nach Vergiftungen im Todeskampf befinden, zu thematisieren.
Es ist aber das Einzige und Wenige, was wir hier draußen für sie tun können. Jetzt, in der Vorweihnachtszeit, in der doch die Herzen weit sein sollten.
Wir können ihre Geschichten erzählen, wir können ihnen eine Stimme sein und wir können Fakten und Informationen weiter tragen. Wir können laut herausschreien, dass es Unrecht ist, was dort hinter dicken Mauern geschieht, dass es nicht nur unsagbar grausam ist, sondern auch furchtbar sinnlos.
95 Prozent der Versuche an ihnen sind nicht auf den Menschen übertragbar, sie sind einfach unnötig, nutzlos und ethisch nicht vertretbar.
Es ist weihnachtlich, ihrer zu gedenken, sich für sie stark zu machen. Es ist genau passend für diese Zeit, denen ein Denkmal zu setzen, die ihr Leben für die Rechte dieser Tiere leben. Die mutig sind, mutig, stark und aufrecht. Es ist besinnlich, sich nicht nur berieseln zu lassen, sondern sich klar zu werden, wofür man steht, wofür man verantwortlich sein möchte.
Und so stehen wir hier mit tausend Menschen in einem kleinen Dorf bei Neumünster, so standen wir bereits mit fünfzehntausend Menschen in Hamburg, mit vielen in Münster und auch an vielen anderen Orten.
Und auch, wenn wir heute nicht laut sein dürfen, wenn die Medien uns ignorieren möchten, aus uns eine Randnotiz machen, so leuchten wir hier und versuchen, diese Vorweihnachtsnacht zu erhellen, schöpfen Mut und Kraft durch die vielen Gleichgesinnten und sind auf dem Weg. Vielleicht auch auf dem Weg, unsere Mitlebewesen insgesamt anders wahrzunehmen.
Wir haben ganz viel Wut in uns, aber auch Hoffnung, ganz viel Verzweiflung, aber auch Mut, ganz viel Traurigkeit, aber auch Zuversicht. Weil wir mehr werden und heller scheinen als die Dunkelheit. Und weil wir es können, weil wir es müssen, für unser Gewissen.
Bis der letzte Käfig leer ist. Jeder Käfig. Für immer.
Mein Weihnachtswunsch.
Kristina Schnoor